Afilio Geschichten

„Mein Opa war für mich immer ein super Ratgeber und Zuhörer. Das fehlt – auch nach sechs Jahren."

Anne
Bei Afilio Geschichten stellen wir Menschen vor, die selbst erlebt haben, wie wichtig das Thema Vorsorge ist. Die erste Geschichte erzählt unsere Mitarbeiterin Anne. Ihr Großvater verstarb 2014 nach einer kurzen, schweren Krankheit. Sie berichtet, wie die Familie diese schwere Zeit erlebt hat und an welche schönen Momente mit ihrem Opa sie sich gerne erinnert.
Anne

Ein Mann, der bei allem 120 Prozent gab, der aber auch die schönen Seiten im Leben genießen konnte – so erinnert Anne sich an ihren Großvater. „Meine Großeltern haben auf der anderen Straßenseite gewohnt, wir haben uns mehrmals in der Woche gesehen. Ich bin mit meinem Opa groß geworden. Wir hatten ein sehr, sehr inniges Verhältnis.“ Auch, als Anne nicht mehr zu Hause wohnt, verbringt sie viele Nachmittage und Abende mit ihrem Großvater. „Wir haben ein paar Gläser Rotwein zusammen getrunken und uns einfach unterhalten. Für mich war er immer ein super Ratgeber und Zuhörer. Das ist ein Punkt, bei dem ich auch nach sechs Jahren sagen muss: Das fehlt.“

„Er machte einen sehr fitten Eindruck und trieb seine Scherze.
Doch plötzlich baute er ganz rapide ab.“

Annes Opa ist 83 und ein sehr selbstständiger Senior, als er plötzlich ins Kranken­haus muss. Es beginnt mit einem aufgekratzten Bein – eine vermeintliche Kleinigkeit, doch blutverdünnende Medikamente führen dazu, dass er einen erheblichen Blut­verlust erleidet. Er kommt in die Notaufnahme, darf aber noch am gleichen Tag nach Hause, ohne Blut­transfusion. „Er machte einen sehr fitten Eindruck und trieb seine Scherze. Doch dieser Vorfall war der Auslöser dafür, dass er in den darauffolgenden Wochen ganz rapide abgebaut hat.“ Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr Großvater komplett selbstständig gewesen: „Er hat es sich nicht nehmen lassen, selbst einkaufen zu gehen, obwohl er seit ein paar Jahren Probleme mit der Luft hatte und immer wieder Pausen machen musste. Er konnte sich komplett selbst versorgen, sich selbst zurechtmachen, ein komplett eigenständiges Leben ohne jegliche Form von Hilfe führen.“

Doch nach dem kurzen Aufenthalt in der Notaufnahme ändert sich alles: Annes Großvater geht es plötzlich immer schlechter. „Es ging wirklich rasend schnell. Das hat der Körper einfach nicht mehr mitgemacht. Die Nieren wurden immer schwächer, er fing an dement zu werden. Nicht im klassischen Sinne, sondern aufgrund der körperlichen Beschwerden. Es ging bis dahin, dass er Hilfe beim Anziehen und Zubettgehen brauchte, die Wohnung nur noch mit Unterstützung für einen ganz kurzen Spaziergang verlassen konnte.“ Der Familie bleibt kaum Zeit, sich darauf einzustellen. Der immer sehr klare, aufgeräumte Großvater, an den Anne sich erinnert, findet sich plötzlich nicht mehr im Alltag zurecht. Er wird immer vergesslicher, beteiligt sich nicht mehr an Gesprächen, läuft nachts weg, weil er nicht mehr weiß, wo er ist. Gleichzeitig verschlechtert sich sein körperlicher Zustand, seine Nieren schaffen es nicht mehr, das Blut zu reinigen. Eine Dialyse möchte Annes Opa nicht. Sie könnte kurzzeitig Besserung bringen, die Entwicklung aber nicht aufhalten.

„Mein Opa war ein großer Pragmatiker. Er hatte schon vor Jahren eine Vorsorge­vollmacht und eine Patienten­verfügung aufgesetzt.“

Zu dieser Zeit kümmern sich Annes Eltern mit Unterstützung ihrer vier Töchter um den Großvater. Vieles muss die Familie im Eiltempo organisieren, z. B. den Pflege­dienst, der bei der häuslichen Pflege unterstützt. Die Angehörigen müssen den Schmerz beiseite schieben. Sie funktionieren und reagieren nur noch. Eine Hilfe in dieser Situation sind die Vorsorge­vollmacht, die Annes Opa ihrer Mutter schon Jahre zuvor gegeben hat, und die Patienten­verfügung, in der er seine Wünsche für den Ernstfall frühzeitig festgehalten hat. „Mein Opa war ein großer Pragmatiker. Er war von Beruf Rechtspfleger – ich glaube, das sagt schon viel über seine Vorgehensweise aus. Meine Mutter ist da genauso, ein bisschen was habe ich davon vielleicht auch mitbekommen. Sie haben sich irgendwann mal hingesetzt, haben darüber gesprochen und die Dokumente aufgesetzt. Sie haben sie sogar vom Hausarzt gegenzeichnen lassen und meine Mutter hat sie einmal im Jahr meinem Opa nochmal zum Unterschreiben gegeben. Ich glaube, viel vorbildlicher kann man das gar nicht handhaben.“ Rein rechtlich besteht also Klarheit. Doch die Trauer über das Leiden des Großvaters und die Überforderung angesichts der rasanten Verschlechterung seines Zustands zehren an der Familie.

„Opa hatte keine Zweifel, dass meine Mutter die richtigen Entscheidungen trifft. Aber belastend war es für sie natürlich trotzdem.“

Anne

Annes Mutter trägt als Bevollmächtigte eine große Verantwortung. „Natürlich gab es die Patienten­verfügung. Aber mit der Vorsorge­vollmacht hatte es letztlich meine Mutter in der Hand, zu sagen: ‚Bis hierher und nicht weiter‘. Die letzten zwei Wochen war Opa dann in dem Hospiz, in dem meine Cousine arbeitet. Alleine so eine Entscheidung zu treffen ... Die Situation richtig einzuschätzen und dann dementsprechend zu handeln. Das war wahnsinnig schwierig. Aber es war einfach nicht mehr zu bewerkstelligen. Ich glaube, das große Glück war, dass Opa immer wieder klare Momente hatte und meine Mutter mit ihm noch einige sehr gute Gespräche führen konnte. Opa sagte ihr klar und deutlich: ‚Du wirst die richtige Entscheidung treffen.‘ Da gab es keinen Zweifel von seiner Seite aus. Aber belastend ist es natürlich trotzdem.“ Zeit zum Durchatmen bleibt der Familie nicht: Zwischen dem ersten Kranken­hausaufenthalt ihres Großvaters und der Unterbringung im Hospiz vergehen gerade einmal zwei Monate. „Wir haben viel geredet und waren füreinander da. Aber alles ging so enorm schnell, dass wir keine Zeit hatten, es zu verarbeiten. Wir mussten jeden Tag auf eine neue Situation reagieren.“

„Alles kam ganz plötzlich. Ende August fing es an, und Mitte November ist er verstorben.“

Alle zwei Tage besucht Anne ihren Opa im Hospiz. Sie spürt, dass nicht mehr viel Zeit bleibt. „Das war die härteste Zeit. Ich wusste, das Hospiz ist die letzte Station. Ich kannte es zu diesem Zeitpunkt nicht, dass irgendwer aus der Familie stirbt. Für mich war es wahnsinnig schmerzlich, mich auf diese Weise mit dem Sterben und dem Tod auseinandersetzen zu müssen. Doch auch, wenn es grausam war, gab es auch in dieser Zeit schöne Momente.“ Anne erinnert sich an eine Situation, in der sie ihren Großvater allein im Hospiz besuchte: „Er dachte, ich sei seine Schwester, die zehn Jahre zuvor verstorben war. Er hat mich zwar nicht erkannt, aber ihm war sehr wohl bewusst, dass wir einen engen Draht zueinander haben müssen.“ So auch in der letzten Nacht. Annes Cousine hat Dienst im Hospiz. Sie ruft die Familienmitglieder zusammen, als sich abzeichnet, dass es Zeit ist, Abschied zu nehmen. „Er war nicht ansprechbar. Ich habe einfach nur seine Hand genommen“, erinnert sich Anne. „Er hatte keine Kraft mehr – aber er hat meine Hand so festgehalten, er hat sie nicht losgelassen. Ich glaube, das war einer der schönsten Momente, weil das nochmal ein Verabschieden war.“

„Wenn ich mal an einem Punkt bin, an dem ich nicht weiterweiß: Dann fehlt er definitiv.“

Seitdem sind sechs Jahre vergangen. Der Verlust des Großvaters wiegt immer noch schwer. Vor allem, wenn Anne einen Rat braucht, fehlen ihr die Gespräche mit ihrem Opa. „Wenn ich mal an einem Punkt bin, an dem ich nicht weiterweiß, dann denke ich: ‚Wenn jetzt Opa noch da wäre, dann könntest du rübergehen und dich darüber mit ihm unterhalten.‘ Ich weiß, ich würde mich danach besser fühlen und hätte einen klareren Kopf. In solchen Momenten fehlt er definitiv. Aber am meisten vermisse ich die geselligen, netten Nachmittage und Abende – mit vielleicht hin und wieder einem Gläschen Rotwein zu viel.“

„Wenn du den Zeitpunkt verpasst, dich über die Wünsche zu unterhalten und sie nicht schriftlich hast, musst du entscheiden, was der Betroffene gewollt hätte – das ist ein Ding der Unmöglichkeit.“

Die Geschichte von Annes Opa zeigt: Im Ernstfall ist meist kaum noch Zeit, wichtige Absprachen zu treffen. Jedem, der noch keine Patienten­verfügung oder Vorsorge­vollmacht besitzt, rät sie darum: „Setzt euch hin im Kreis der Familie, sprecht miteinander über eure Wünsche – gerade in einem gewissen Alter. Dafür sollte man einen guten Moment abpassen. Es ist kein schönes Thema, aber es muss gemacht werden. Gerade Kinder sollten hier viel eher in die Offensive gehen und nicht darauf warten, dass Vater oder Mutter mit 80 plötzlich auf die Idee kommen, eine Patienten­verfügung zu verfassen. Haltet fest, was ihr besprochen habt und klärt die Zuständigkeiten. Denn wenn du den Zeitpunkt verpasst, dich über die Wünsche zu unterhalten und sie nicht schriftlich hast, und du musst beispielsweise bei einer plötzlich auftretenden Demenz entscheiden, was der Betroffene gewollt hätte – das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Im Rückblick kann ich sagen: Für uns waren die Vorsorge­dokumente wahnsinnig hilfreich. Mit der Vorsorge­vollmacht war klar geregelt, dass meine Mutter die Verantwortung hatte. Ich will gar nicht wissen, was für Familienstreitigkeiten entstehen können, wenn sowas nicht vorab geklärt ist. Es geht also nicht nur um die eigene Absicherung, sondern auch um die der Angehörigen – damit sie wissen, was sie zu tun haben.“