Sterbehilfe ist in Deutschland jetzt erlaubt: Alle Infos

von Afilio
24.03.2020 (aktualisiert: 12.01.2022)
Das Wichtigste in Kürze:
  • Am 26. Februar 2020 entschied das Bundes­verfassungs­gericht: Jeder Mensch hat grundsätzlich ein Recht darauf, selbstbestimmt zu sterben.

  • Das heißt, auch die Beihilfe zum Suizid ist nun in Deutschland erlaubt – nachdem sie seit 2015 eine Straftat darstellte.

  • Im Mai 2021 entschied die Bundesärztekammer auf dem 124. Deutschen Ärztetag, dass das Verbot zur Beihilfe zur Selbsttötung aus der Berufsordnung zu streichen. Das Urteil gibt Ärzten neue Rechtssicherheit und wird dem Urteil des Bundes­verfassungs­gericht gerecht.

Schwerkranke Menschen, die keine Aussicht auf Heilung haben, wollen manchmal lieber sterben als in ihrem Zustand weiterzuleben. Angehörige, Ärzte und Pflege­personal stellt dieser Wunsch vor eine große Herausforderung: Können und sollten sie ihn erfüllen?

Das Thema Sterbehilfe wird seit einigen Jahren kontrovers diskutiert. Nur in drei Ländern – den Niederlanden, Belgien und Luxemburg – ist es tatsächlich erlaubt, einen Menschen auf dessen Verlangen hin zu töten. In anderen Staaten gibt es Regelungen zur passiven bzw. indirekten Sterbehilfe. Einige verbieten und bestrafen hingegen jegliche Form der Unterstützung eines selbstbestimmten Todes. Das neue Urteil zur Sterbehilfe in Deutschland bringt Betroffenen Erleichterung, wirft aber auch Fragen auf.

Definition: Was ist Sterbehilfe eigentlich?

Sterbehilfe leistet jeder, der in den Sterbeprozess eines anderen Menschen eingreift, sofern dieser den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Wunsch geäußert hat. Das kann auf verschiedene Weise geschehen, z. B. durch Verabreichung eines Gifts, das Besorgen tödlicher Medikamente oder das Beenden lebenserhaltender Maßnahmen und Behandlungen. Auch die Rechtsprechung unterscheidet daher verschiedene Arten von Sterbehilfe. Die direkte Sterbehilfe, also das Töten eines Menschen, ist dabei in den meisten Ländern verboten, auch in Deutschland. Hierzulande stand seit 2015 auch die sogenannte geschäftsmäßige Assistenz beim Suizid unter Strafe. Mehrere Verfassungsbeschwerden darüber führten schließlich zum Prozess vor dem Bundes­verfassungs­gericht.

Aktive und passive Sterbehilfe: Das ist der Unterschied

In der medialen Diskussion wird hauptsächlich von passiver und aktiver Sterbehilfe gesprochen. Rein rechtlich gesehen gibt es aber vier Arten der Sterbehilfe:

  • aktive Sterbehilfe
  • passive Sterbehilfe
  • indirekte Sterbehilfe
  • assistierter Suizid

Die Varianten unterscheiden sich darin, wie groß die Einflussnahme auf den Tod der sterbewilligen Person ist. Je weniger involviert Helfende sind, desto eher wird das Verfahren als ethisch vertretbar eingestuft.

Aktive Sterbehilfe

Die aktive Sterbehilfe, auch Tötung auf Verlangen genannt, ist in Deutschland verboten. Sie kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Das regelt § 216 des Strafgesetzbuches (StGB). Aktiv ist die Sterbehilfe, wenn eine Person den sterbewilligen Menschen direkt tötet. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Arzt seiner Patientin auf deren Wunsch eine tödliche Spritze setzt.

Passive Sterbehilfe

Die passive Sterbehilfe wird bei Menschen angewandt, die unheilbar krank sind und deshalb eine begrenzte Lebenserwartung haben oder bereits im Sterben liegen. Dabei werden lebenserhaltende Maßnahmen beendet oder reduziert. Dies geschieht immer im Einvernehmen mit der betroffenen Person oder deren Angehörigen.

In Ihrer Patienten­verfügung können Sie auch vorsorglich bestimmen, dass Sie keine lebensverlängernden Maßnahmen wünschen. Zu diesen gehören beispielsweise die künstliche Beatmung oder Reanimation bei einem Herzstillstand oder einem Koma. Die passive Sterbehilfe wird vor allem in der Palliativmedizin und auch in Randbereichen der Palliativpflege angewandt. Auch der Begriff „Sterbenlassen“ ist für diese Variante gebräuchlich.

Indirekte Sterbehilfe

Mit indirekter Sterbehilfe ist die Gabe von schmerzlindernden oder bewusstseinstrübenden Medikamenten gemeint, die in hohen Dosen die Lebensdauer verkürzen können. Im Endstadium schwerer Krankheiten leiden Patienten häufig unter Schmerzen, Atemnot oder Ängsten. Sie erhalten Betäubungs- und Beruhigungsmittel, damit sie davon so wenig wie möglich mitbekommen. Viele Betroffene wünschen diese Behandlung oder haben dies in ihrer Patienten­verfügung angegeben. Wie auch die passive ist die indirekte Sterbehilfe in Deutschland erlaubt.

Assistierter Suizid

Wenn jemand einem sterbewilligen Menschen bei der Selbsttötung assistiert, ist das Beihilfe zum Suizid. Meistens geht es dabei lediglich darum, Medikamente zu besorgen, die den Tod einleiten. Einnehmen muss sie die betroffene Person selbst. Suizid ist in Deutschland nicht strafbar – daher auch nicht die Unterstützung dabei. Von 2015 bis zum Februar 2020 war die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid jedoch laut § 217 StGB verboten.

Selbstbestimmt sterben: Bisher war das in Deutschland verboten

Das Verbot der Sterbehilfe durch assistierten Suizid trat im Dezember 2015 in Kraft. Es ist in § 217 StGB wie folgt geregelt:

„(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“

Als geschäftsmäßig handelnd galten in erster Linie Sterbehilfevereine. Aber auch Ärzte oder andere Personen, die mehreren Sterbewilligen ihre Hilfe anboten, machten sich strafbar. In den letzten Jahren kam es daraufhin zu mehreren Verfassungsbeschwerden von Vereinen, Ärzten und schwererkrankten Menschen.

Im März 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass Betäubungsmittel zur Selbsttötung in Extremfällen nicht verwehrt werden dürfen. Allerdings wurde das Urteil in der Realität nicht umgesetzt. Obwohl über 100 Menschen Anträge auf die Mittel stellten, wurden diese nicht bearbeitet. Letztlich nahm sich das Bundes­verfassungs­gericht dem Thema an: Im April 2019 fand die mündliche Verhandlung über sechs Verfassungsbeschwerden zum Verbot des geschäftsmäßigen assistierten Suizids statt.

Rotes Paragraphensymbol vor hellem Hintergrund
In Deutschland trat im Dezember 2015 das Verbot der Sterbehilfe durch assistierten Suizid in Kraft. Im Februar 2020 entschied jedoch das Bundes­verfassungs­gericht, dass dieses Verbot gegen das Grundgesetz verstößt.

Was ändert sich durch das Urteil des Bundes­verfassungs­gerichts zur Sterbehilfe?

Das Bundes­verfassungs­gericht urteilte am 26. Februar 2020, dass das Verbot des assistierten Suizids nach § 217 StGB gegen das Grundgesetz verstößt. In der Entscheidung heißt es: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen.“ Das Verbot durch § 217 StGB mache es unmöglich, von diesem Recht Gebrauch zu machen.

Da der Schutz des Lebens in der Verfassung aber auch einen großen Stellenwert einnimmt, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts zum Urteil: „Hieraus folgt nicht, dass es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen untersagt ist, die Suizidhilfe zu regulieren. Er muss dabei aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt.“

Theoretisch ist die Sonderform passiver Sterbehilfe in Deutschland nun wieder erlaubt. Ob es eine neue rechtliche Regelung dazu geben und wie diese aussehen wird, ist aber noch nicht klar. Der Verein Dignitas und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) haben inzwischen ein gemeinsames Beratungstelefon eingerichtet, bei dem sich Sterbewillige über ihre Möglichkeiten informieren können.

Rechtssicherheit für Ärzte

Zwar gab es auch schon bei Urteilsverkündung Ärzte, die sich dafür ausgesprochen haben, bis Mai 2021 war ihnen laut Berufsordnung allerdings verboten, Menschen bei einem Suizid zu helfen, indem sie z. B. tödliche Medikamente beschaffen. Auf dem 124. Deutschen Ärztetag entschied die Bundesärztekammer, das Verbot jedoch zu streichen und damit dem Urteil des Bundes­verfassungs­gerichts gerecht zu werden. Ziel war es vor allem, Ärzten und Ärztinnen Rechtssicherheit zu verschaffen, wie sie in diesem Bereich handeln dürfen. Die Aufhebung des Verbots bedeutet jedoch nicht, dass jeder Arzt Beihilfe zur Selbsttötung leistet. Äußert ein Patient den Wunsch zur Selbsttötung und bittet um Hilfe, liegt die Entscheidung für oder gegen die Beihilfe ganz beim Mediziner selbst.

Kritik an der Sterbehilfe: Pro und Contra

Das neue Urteil zur Sterbehilfe in Deutschland erfuhr sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Einerseits kommt es schwer- und todkranken sowie stark eingeschränkten Menschen entgegen. Andererseits gibt es viele begründete ethische Bedenken. Experten und Politik warnen zudem vor möglichen Gefahren des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben.

Zu den positiven Meinungen zum Thema Sterbehilfe zählen folgende:

  • Schwererkrankte Menschen ohne Heilungschancen können ihr Leben beenden und sich so weiteres Leiden ersparen.
  • Sterbehilfevereine, Ärzte und Angehörige machen sich nicht mehr strafbar.
  • Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2014 ergab, dass 78 % der Teilnehmenden die passive und 67 % sogar die aktive Sterbehilfe befürworteten.

Gegenstimmen führen diese Argumente an:

  • Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist nicht an eine schwere oder unheilbare Erkrankung gebunden. Manche befürchten daher, dass Suizid zur Selbstverständlichkeit werden könnte.
  • Ärzte sehen es als ihre Aufgabe, Leben zu erhalten und Gesundheit wiederherzustellen. Dem steht die Beihilfe zum Suizid entgegen.
  • Die Option eines assistierten Suizids könnte Druck auf alte oder kranke Menschen ausüben. Sie könnten sich möglicherweise aus finanziellen Gründen dafür entscheiden oder um ihren pflegenden Angehörigen nicht zur Last zu fallen.

Die Sterbehilfe in der Patienten­verfügung regeln

Wenn Sie im Falle einer schweren Erkrankung Sterbehilfe im gesetzlich erlaubten Rahmen in Anspruch nehmen wollen, können Sie das in Ihrer Patienten­verfügung erklären. Grundsätzlich können Sie nach dem Urteil des Bundes­verfassungs­gerichts auch den Wunsch nach einem assistierten Suizid äußern. Dafür eignet sich ein Freitext-Feld, in dem die Eckdaten der Patienten­verfügung durch Erklärungen und persönliche Wertvorstellungen ergänzt werden können. Das erleichtert es Ärzten und Angehörigen, sich in den Verfasser hineinzuversetzen. Verfassen Sie einen Absatz, in dem Sie Ihre Wünsche zur Sterbehilfe schildern.

Es empfiehlt sich, zusätzlich eine Vorsorge­vollmacht zu erstellen. Darin bestimmen Sie eine Vertrauensperson, die im Ernstfall entscheiden darf, wie Sie behandelt werden. Eine Betreuungs­verfügung kann ebenfalls sinnvoll sein. Diese Vorsorge­dokumente können Sie ganz einfach mit Afilio erstellen. Bevollmächtigte und gesetzliche Betreuer können über Maßnahmen der Sterbehilfe allerdings nur für Sie entscheiden, wenn Sie Ihre Wünsche diesbezüglich in der Patienten­verfügung festgehalten haben.

Tipp: Urteile wie das des Bundes­verfassungs­gerichts zur Sterbehilfe wirken sich auf Ihre Vorsorge aus. Sie sollten darum regelmäßig Ihre Patienten­verfügung ändern oder erneuern. Afilio hilft Ihnen dabei, Ihre Dokumente immer auf dem neuesten Stand zu halten!

Die eigenen Wünsche festhalten

Nutzen Sie jetzt die Möglichkeit und halten Sie Ihre persönlichen Wünsche für die medizinische Behandlung im Ernstfall fest. Ganz einfach mit der Patienten­verfügung von Afilio.

Häufig gestellte Fragen

Sterbehilfe: Was hat sich geändert?

Das Urteil zur Sterbehilfe ermöglicht es Menschen, die selbstbestimmt sterben möchten, sich dabei Hilfe von freiwilligen Dritten zu holen. So können z. B. Ärzte, Sterbevereine oder Pflege­r Medikamente zur Selbsttötung vorbereiten. Die Person mit Sterbewunsch muss die Medikamente dann aber selbst einnehmen. Die Bereitstellung der entsprechenden Medikamente darf geschäftsmäßig ausgeübt werden. Es handelt sich dabei um die Beihilfe zur Selbsttötung. Vor dem Urteil bereits erlaubt war die passive Sterbehilfe, bei der lebenserhaltende Maßnahmen auf Wunsch des Patienten unterlassen werden. Auch die indirekte Sterbehilfe, bei der z. B. schmerzlindernde Medikamente verabreicht werden, die das Leben verkürzen können, war und bleibt erlaubt, wenn der Patient dies ausdrücklich wünscht.

Welche Art der Sterbehilfe ist nicht erlaubt?

Weiterhin nicht erlaubt ist die aktive Sterbehilfe. Sie kennzeichnet sich dadurch, dass ein Dritter den letzten Schritt zur Tötung vornimmt, also z. B. die tödlichen Medikamente verabreicht. Diese Handlung wird auch als Tötung auf Verlangen bezeichnet und ist nach § 216 StGB strafbar.

Quellen

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