MD-Begutachtung: So läuft die Pflege­begutachtung

von Johannes Kuhnert
21.08.2019 (aktualisiert: 14.06.2021)
Das Wichtigste in Kürze:
  • Die Pflege­begutachtung dient dazu, den tatsächlichen Pflege­bedarf eines Antragstellers festzustellen.
  • Gutachter besuchen den Antragsteller und seine Angehörigen vor Ort und evaluieren die Selbständigkeit des Betroffenen anhand eines standardisierten Fragebogens in sechs Kategorien.
  • Angehörige und Pflege­dienste können (und sollten) beim Begutachtungstermin vor Ort sein und Gutachter und Betroffenen mit relevanten Ergänzungen unterstützen.
  • Das Ergebnis des Gutachtens geht der Pflege­kasse zu, die anschließend über die Anerkennung eines Pflege­grads entscheidet.
  • Sind Sie mit dem Ergebnis des Antrags nicht einverstanden, können Sie Ihren Widerspruch gegen das Ergebnis des Gutachtens einreichen.

MD-Termin bei Antrag auf Pflege­leistungen: So bereiten Sie sich richtig vor

Sobald Sie bei der Pflege­kasse Pflege­leistungen beantragt haben, prüft diese ob der Antrag begründet ist. Das geschieht im Rahmen des Neuen Begutachtungs­assessments (NBA), das der Gesetzgeber 2017 im Rahmen des Zweiten Pflege­stärkungsgesetz PSG II eingeführt hat. Das standardisierte Verfahren ermöglicht es, die Pflege­bedürftigkeit der Antragsteller zu überprüfen. Die Prüfung übernehmen Gutachter vom Medizinischen Dienst der Kranken­kassen (MD) für gesetzlich Versicherte oder von Medicproof, dem medizinischen Dienst der privaten Versicherer. Die Gutachter der Dienste besuchen pflegebedürftige Personen üblicherweise in ihrem häuslichen Umfeld, um die tatsächliche Belastung im Alltag nachvollziehen zu können. Damit sie ein möglichst authentisches Bild vermitteln können, ist es sinnvoll den Besuch des Gutachters vorzubereiten.

Das können Sie vor dem MD-Termin tun

Nachdem Sie Ihren Antrag bei der Pflege­kasse für sich oder einen Angehörigen gestellt haben, sollten Sie eine möglichst genaue Darstellung der konkreten Situation vorbereiten. Das können Sie etwa in Form eines mehrwöchigen Pflege­tagebuchs tun. Die genaue Protokollierung des eigenen Bedarfs per Pflege­tagebuch ist nicht nur sinnvoll für den Gutachter, sie hilft auch pflegenden Angehörigen, sich selbst die wesentlichen Punkte des Bedarfs zu veranschaulichen. Für den MD-Termin sind, je nachdem wie anspruchsvoll der Einzelfall ist, bis zu 2 Stunden Besuchszeit vorgesehen. Je genauer die Angaben sind, die Sie dem Gutachter vorlegen können, desto reibungsloser kann die Anerkennung eines passenden Pflege­grads erfolgen. Treffen Sie idealerweise die richtigen Vorbereitungen, indem Sie diese Dokumente und Informationen bereithalten:

  • Pflege­tagebuch
  • ausgefüllter MD-Fragebogen (wenn bereits erhalten)
  • Name und Anschrift aller bislang behandelnden Ärzte
  • Einschätzungen des eigenen Hausarztes und bis dato involvierter Fachärzte
  • ggf. Patientenakten von Kranken­haus­behandlungen der letzten 2-3 Jahre
  • Auflistung aller aktuell verschriebenen Medikamente
  • Name und Anschrift aller pflegenden Personen
  • ggf. Pflege­dokumentation, wenn bereits ein Pflege­dienst beauftragt ist
  • ggf. Auflistung aller benötigten Pflege­hilfsmittel
  • ggf. Behindertenausweis

Haben Sie den Pflege­grad für eine angehörige Person beantragt, dann besprechen Sie den Termin im Vorfeld mit ihr. Ziehen Sie auch behandelnde Ärzte und Pflege­dienste mit ins Vertrauen. Es kann sinnvoll sein, Pflege­dienstmitarbeiter zum Termin mit einzuladen. Dank ihrer Erfahrung wissen sie, welche Aspekte bei der Begutachtung maßgeblich sind und welche zunächst zurückgestellt werden können.

Häufige Fehler: Diese Fallstricke sollten Sie vermeiden.

Gerade Menschen früherer Generationen möchten zumeist niemandem unnötig zur Last fallen. Andere empfinden den Besuch des MD-Gutachters als Prüfung, die unbedingt mit Bravour bestanden werden muss. Sprechen Sie darum mit dem Betroffenen darüber, worauf es beim MD-Termin tatsächlich ankommt. Allzu häufig stellen sich Bedürftige im Rahmen der Prüfung deutlich robuster dar als es den Tatsachen im Alltag entspricht. Im ungünstigsten Fall wird nicht der passende oder aber überhaupt kein Pflege­grad zuerkannt – mit gravierenden finanziellen Einbußen und anhaltender Alltagserschwernis für den Betroffenen selbst und seine Angehörigen. Die MD-Begutachtung ist keine Prüfung, bei der es darum geht, einen möglichst gesunden Eindruck zu vermitteln.

Frau füllt Fragebogen aus
Die Selbständigkeit wird anhand eines standardisierten Fragebogens erfasst.

​Das können Sie während des MD-Termins tun

Gutachter von MD und Medicproof sind intensiv geschulte Fachkräfte, die häufig nicht nur aufgrund Ihrer Sachkenntnis in der Lage sind, die richtige Einschätzung eines Betroffenen vorzunehmen, sondern auch auf der Basis jahrelanger Erfahrung. Der eigentliche MD-Termin dient dazu, die Selbständigkeit des betroffenen Antragstellers in sechs unterschiedlichen Lebensbereichen zu prüfen:

  1. Mobilität 10%
  2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten 15% (zusammen mit Punkt 3)
  3. Verhaltensweisen mit psychischen Problemlagen 15 %
    (zusammen mit Punkt 2)
  4. Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte 15%
  5. Bewältigung und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen 20%
  6. Selbstversorgung 40%

Die Selbständigkeit wird anhand eines standardisierten Fragebogens erfasst.

Idealerweise sollten Sie selbst und – falls bereits involviert – ein Mitarbeiter des Pflege­dienstes der Begutachtung beiwohnen. Nicht immer beschreiben die Betroffenen selbst alle Details Ihrer Einschränkungen in ausreichendem Maß. Aber auch Missverständnisse lassen sich ggf. leichter ausräumen, wenn nahe Angehörige oder erfahrene Pflege­kräfte die tatsächlichen Gegebenheiten mit zusätzlichen Erläuterungen begleiten. Aber: Reißen Sie das Gespräch nicht an sich. Es ist wichtig, dass der Betroffene selbst ein realistisches Bild seiner augenblicklichen Situation vermittelt.

Unterstützen Sie also Gutachter und Antragsteller am besten indem Sie dazu beitragen, möglichst Informationen zu ergänzen, die in irgendeiner Form dazu beitragen könnten, die Selbständigkeit des Betroffenen korrekt einzuschätzen während das eigentliche Gespräch läuft: Das betrifft die räumliche Unterbringung genauso wie das allgemeine Stimmungsbild, körperliche Einschränkungen oder alltägliche Gewohnheiten.

MD-Termin und Corona: So verläuft die Begutachtung aktuell

Das Coronavirus hat vieles verändert, besonders auch für ältere Menschen und Menschen mit Pflege­bedarf. Wer heute einen Pflege­grad beantragt muss damit rechnen, dass die Begutachtung durch den MD oder MEDICPROOF anders verläuft, als früher. Die Gutachterin des MD kommt in der Regel nicht mehr persönlich zum Antragsteller nach Hause, sondern nimmt die Begutachtung über ein etwa einstündiges Telefongespräch vor. Auch hierbei ist es sinnvoll, eine Pflege­person zu bitten, dem Gespräch beizuwohnen. Das ist besonders wichtig, wenn die pflegebedürftige Person an einer Demenz leidet.

Wer privatversichert ist und von Medicproof begutachtet wird, hat mittlerweile wieder gute Chancen auf einen persönlichen Termin. Die Gutachterin meldet sich vorab telefonisch, um abzuklären, ob eine persönliche Begutachtung unter Beachtung der geltenden Hygienemaßnahmen möglich ist. Vorab prüft Medicproof, ob beim Antragsteller Vorerkrankungen vorliegen, die die persönliche Begutachtung ausschließen. Ist die persönliche Begutachtung nicht möglich, nimmt die Gutachterin diese telefonisch vor. Bevorzugen Sie es, persönlich begutachtet zu werden, können Sie beim Erstgespräch mit dem Gutachter darum bitten, einen Termin vor Ort zu vereinbaren.

Nach dem MD-Termin: So geht es weiter

Im Anschluss an den Begutachtungstermin wird das Gutachten zur Pflege­bedürftigkeit erstellt und der Pflege­kasse übermittelt. Das Gutachten ist die Grundlage für die Entscheidung, ob die Pflege­kasse einen Pflege­grads anerkennt. Dem Antragsteller geht ebenfalls eine Kopie des Gutachtens zu, das passiert üblicherweise zusammen mit dem Bescheid zum Pflege­grad. Gleichzeitig erhalten Sie als Angehörige Empfehlungen und Hinweise des Gutachters zu Pflege­hilfsmitteln und angezeigten Möglichkeiten zur Rehabilitation oder unmittelbaren Prävention. Auch ein erneuter Begutachtungstermin kann bereits anberaumt werden, um ggf. eine längerfristige Prognose stellen zu können. Die Pflege­kasse wird die hier aufgeführten Empfehlungen selbst heranziehen, um notwendige Pflege- und Behandlungs­schritte einzuleiten, etwa in Form eines Antrags zu medizinischen Behandlungs­leistungen, der Ihnen auch ohne weitere Aufforderung direkt zugeht. Diese Leistungen müssen sie nicht explizit selbst beantragen. Wurden Pflege­hilfsmittel empfohlen, wird die Pflege­kasse mit Ihnen in Kontakt treten, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Das können Sie tun, wenn Sie mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht einverstanden sind

Es kann vorkommen, dass Angehörige und Antragsteller lediglich den Bescheid über Anerkennung oder Ablehnung eines Pflege­grads erhalten – nicht jedoch das zugrundeliegende Pflege­gutachten. Gerade bei ablehnenden Bescheiden sollten Sie auf Übersendung des Gutachtens bestehen – das benötigen Sie nämlich auch als Argumentationsgrundlage, wenn Sie Widerspruch gegen das Ergebnis der Begutachtung einreichen wollen.

Sollten Sie tatsächlich den Eindruck haben, dass der zuerkannte Pflege­grad ungenügend ist oder dass die Ablehnung eines Pflege­grads insgesamt unberechtigt erfolgt ist, dann sollten Sie Widerspruch einreichen. Auch wenn MD-Gutachter geschulte Fachkräfte sind, sind sie doch beauftragte Gutachter der Pflege­kasse und damit angehalten, nicht allein die für den Betroffenen bestmögliche Lösung zu finden, sondern auch die Interessen der Versicherung zu berücksichtigen. Alle wichtigen Informationen und eine passende Vorlage zum Widerspruch bei der Pflege­kasse finden Sie auch bei uns.

Gut zu wissen: Wer privatversichert ist, hat keinen Anspruch auf Widerspruch gegen den Pflege­bescheid des Versicherungsträgers. Sind Sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden, können Sie aber vor dem zuständigen Sozialgericht klagen.

Welche Fragen stellt der MD bei der Begutachtung?

Der MD stellt verschiedene Fragen, die sich sowohl auf Ihre Gesundheit und Ihr Umfeld als auch Ihre Selbstständigkeit beziehen. Dazu gehört z. B. die Frage danach, wie beweglich sie sind oder auch die Frage, welche Alltagsaufgaben Sie nicht mehr allein bewältigen können.

Beispielfragen:

  • Welche Erkrankungen oder Behinderungen wurden bei Ihnen festgestellt?
  • Werden Sie von Angehörigen oder einem Pflege­dienst gepflegt?
  • Können Sie selbstständig aufstehen, sitzen, gehen und sich festhalten?
  • Benötigen Sie Hilfe bei der Körperpflege?
  • Benötigen Sie Hilfe bei der Ernährung?
Was prüft der MD?

Der medizinische Dienst der Kranken­kassen versucht mit Hilfe des Neuen Begutachtungs­assessments, kurz NBA, herauszufinden, wie selbstständig pflegebedürftige Menschen sind. Dazu wird ein Gutachten angefertigt, das der Pflege­kasse übergeben wird. Das Gutachten und der darin geschilderte Grad der Selbstständigkeit sind die Grundlage dafür, welchen Pflege­grad die Pflege­kasse anerkennt.

Wie lange dauert es vom MD-Gutachten bis zum Bescheid?

In der Regel dauert es 25 Arbeitstage, also etwa fünf Wochen, bis Sie den Bescheid von der Pflege­kasse erhalten. In akuten Fällen muss die Kasse deutlich schneller sein: Dann hat sie nur eine Woche für die Entscheidung. Benötigt die Kasse deutlich länger als die vorgeschriebenen 25 Tage, hat der Antragsteller Anspruch auf eine Pauschale von 70 Euro pro Woche, die die Kasse ihm auszahlen muss.

Quellen

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